Spargel,
Koriander und Lavendel: Wie
Edel-Chocolatiers auf Äckern und
Wiesen die Zutaten für ihre
Küche finden
Von Wiebke
Eden
Handelsblatt, 13.05.2005
Auf der Schokotafel steht
„Spargelzeit“. Die
Geschmacksnerven schlagen Alarm:
Stangengemüse in Schokolade? Nach
dem zögerlichen Auspacken folgt
ein beherzter Biss. Schokolade
splittert zwischen den Zähnen.
Eine Creme quillt hervor, die
weich und süß schmeckt und dann –
verblüffend köstlich – einen Hauch
nach Spargel.
Die Edel-Chocolatiers zieht es im
Frühjahr und Sommer ins Freie. In
Schokolade gehüllte Karotten,
Rosen, Lavendelblüten, süß
verfeinerter Sellerie, Blaumohn,
Koriander – modebewusste
Schokoladenmacher scheuen sich
nicht, ihre Zutaten von Äckern,
Beeten und Wiesen zu holen. Was
einst in Vasen oder Eintöpfen
landete, wird heute buchstäblich
durch den Kakao gezogen.
Gewöhnungsbedürftig:
Schoko mit Shiitake-Pilz
„Pflanzen in Schokolade sind
extreme Geschmackssache“, sagte
Jascha Kappelmeyer. Unter dem
portugiesischen Namen „Docura“
(Süße) führen der 31-Jährige und
Lebensgefährtin Marina Pereira
Monteiro zwei Süßwarenläden in
Berlin. Seit Geschäftsgründung im
Herbst 2001 bieten sie
eigenwillige
Schokoladen-Kreationen an.
Das Paar hat Verständnis für den
Argwohn mancher Kunden, traute es
sich doch anfangs selbst nicht,
jede Sorte anzubieten: „Schokolade
mit Shiitake-Pilzen erschien uns
sehr gewöhnungsbedürftig.“
Dabei hat der österreichische
Chocolatier Josef Zotter lange
genau mit jener Schokolade
experimentiert. Was mit
Steinpilzen nicht gelingen wollte,
harmonierte schlussendlich mit
Shiitake. Der „Feinschmecker aus
Passion“ (Zotter über Zotter)
kennt keine Befangenheit, was
außergewöhnliche
Schokoladenfüllungen angeht.
Gerade die Speise der Götter
ermuntert ihn zum Kombinieren:
„Die Kakaobohne hat 500 bis 700
Aromakomponenten“, erklärt Zotter.
„Darunter 200 Nuss- und 80
Zitrusaromen. Sogar Paprika finden
Sie.“ Deshalb verband der
Chocolatier das
Nachtschattengewächs kühn in einer
Ananas-Schokolade.
„Ein Gourmet muss allen
Geschmäckern offen gegenüber
stehen“, findet auch Oliver
Coppeneur, der seine Confiserie in
Bad Honnef mit Kompagnon Georg
Bernardini betreibt. „Es
unterliegt der Erziehung, was man
als zueinander passend empfindet“,
sagte der 37-Jährige. „Vorurteile
bauen Blockaden.“
Trotz
aller Skepsis: Süße Kunden
experimentieren
(…)
Der Erfolg gibt den Chocolatiers
Recht. Ihr Mut und ihre
Experimentierlust zahlen sich aus:
Die Zahl der aufgeschlossenen und
neugierigen Schokoladenliebhaber
wächst, allen Vorbehalten zum
Trotz. Die bewährte
Trauben-Nuss-Schokolade wird zu
Gunsten eines Geschmacksabenteuers
verschmäht.
Pignolen-Karamell an Basilikum –
genauso genommen Pesto – in
Vollmilchschokolade? Die
üblicherweise in Spaghetti
gerührte Paste schmeckt fein nach
Holz und Wald. Moosbeer-Thymian in
Bitterschokolade? Knusprig,
gesund, fruchtig.
(…)
Das belgische
Schokoladenunternehmen NewTree hat
gar den Bogen vom Badespaß zu den
Gaumenfreuden geschlagen und eine
Lavendelschokolade entworfen:
„Lavendel wirkt beruhigend und
entspannend“, begründet
Verkaufsmanager Jerôme van Kempen
die Zusammenstellung. Das
blaublütige Produkt zwischen
Zitronen- und
Johannisbeerschokolade verkauft
sich blendend – bis nach Amerika.
Während Gemüse in Schokolade nach
wie vor manche schaudern lässt,
verzaubern Blüten und Blumen.
Zotters Holunderblütenschokolade,
die es nur im Frühling gibt,
gehört jedenfalls zu den
beliebtesten seines Hauses.
„Ich rieche gern an den Dingen“,
sagt der Chocolatier. In der
duftenden Steiermark, dort, wo er
seine Manufaktur hat, schöpft er
aus der Fülle der Natur: Für
tausend Schokoladentafeln
verwendet er 250
Holunderblütenkränze.
„Wenn man sich an einem
Blumengarten erfreuen kann, an den
Aromen, die darin stecken, geht es
um den Versuch des Einfangens von
glücklichen Momenten“, erklärt
Oliver Coppeneur. Zum Beispiel
Romantik in einer zart
abgestimmten Rosenschokolade.
Da lässt auch Ladeninhaberin
Marina Monteiro Poesie walten. Bei
dem Genuss von Rosenschokolade
muss sie an eine Operndiva denken,
die, umgeben von Rosensträußen, in
einer Garderobe sitzt und Konfekt
nascht, während die Blüten ihren
Duft verströmen – auf die
Pralinen.
(…)
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