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Exquisite Herrschaften

Durch kühle Schönheit und geistvollen Zynismus provozierte der Dandy die High Society des 19. Jahrhunderts. Um seine vornehm rebellischen Nachfolger heute schert sich offenbar keiner mehr, allenfalls kurzfristig. Was ist aus dem Dandy und seinen exklusiven Ansprüchen im Zeitalter der Massenmedien geworden? Welche Chancen hat der ästhetisierende Anzugträger in einer Mittelmaß-Gesellschaft, die sich von keinem Tabubruch mehr schockieren lässt? Dandys zwischen glamourösem Abglanz und neuer Kreation.
Von Wiebke Eden

Oscar Wilde inszenierte sich in den Medien des fin de siècle wie kaum ein anderer. Mit einer Lilie in der Hand spazierte der Schriftsteller über den Londoner Piccadilly Circus, trug vielleicht einen purpurnen Mantel oder eine Jacke mit lavendelfarbenen Seidenstreifen. Sein langes Haar warf er anmutig lässig über die Schultern. Der Schöngeist wusste, dass er Aufsehen erregen und am nächsten Tag in den britischen Gazetten stehen würde.

Obwohl als Dandy nicht unumstritten, darf Oscar Wilde in keinem Männerbilderbogen über den gut gekleideten Spötter fehlen. In seinem Buch „Dandys – Virtuosen der Lebenskunst“ widmet der Berliner Kultursoziologe Günter Erbe dem stattlichen Elegant gleich ein eigenes Kapitel. Das Werk, das gerade auf den Markt gekommen ist, erscheint in einer Zeit, in der dandyhafte Typen und Charakteristiken wieder verstärkt Anziehungskraft besitzen. Es ist die Zeit des Narzissmus und der Inszenierung, die Zeit der Posen und abziehbaren Äußerlichkeiten. Die Medien liefern eindimensionale Bilder von perfekt geschminkten Gesichtern mit perfekt geformten Wangenknochen, Nasen, Mündern. Alle sind schön und alle sind gleich. Der Dandy will schöner sein und originell. Er distanziert sich von der Masse und stellt sich im coolen Edellook zur Schau.

So lässt sich der aufrührerische Songwriter Paul Weller zum neuen Album im schnieken Dreiteiler ablichten und wird von der Presse als „bestangezogener Dandy seit Oscar Wilde“ gelobt. Der 31-jährige Steffen Kopetzky schreibt in gravitätischer Sprache einen pompösen Roman und präsentiert sich fürs Klappenfoto in Anzug und vatermörderischem Hemdkragen. Das Hochglanzmagazin „Vogue homme“ inszeniert den Mann von heute dandyhaft schmalgesichtig und blass, androgyn bis feminin, in Nadelstreifen, Samtschal und seidenem Morgenrock über dem Frack.

Nur, gerät der neue Dandy nicht selbst zum Abziehbild, zur schlechten Kopie einer exquisiten Figur der High Society im 19. Jahrhundert? In der Massenkultur des 21. Jahrhunderts gibt es kaum noch Unterschiede zwischen echter und nachgeahmter Exklusivität. Exklusivität ist Allgemeingut geworden und der Dandy-willige Herr von heute hat es schwer, gegen das Mittelmaß der Gesellschaft zu opponieren. Wenn Paul Weller oder Steffen Kopetzky beharrlich feines Tuch tragen, wie der zarte Jüngling auf jeder zweiten Seite der Männerillustrierten, wirkt das nicht mehr provokativ und ruft allenfalls müdes Lächeln hervor. „Der ewige ‚Bruch mit den Sehgewohnheiten` ist zur lieben Gewohnheit geworden, die intellektuelle Subversion zur Routine, der Tabu-Bruch zur Unterhaltung“, konstatiert Hans Magnus Enzensberger in „Mittelmaß und Wahn“ (1991).

Insofern ist für Günter Erbe klar, dass der klassische Dandy des 19. Jahrhunderts nicht mehr existieren kann, „aber“, sagt er, „es ist möglich, dass es neue Formationen von Dandys gibt.“

Werfen wir einen Blick auf die alten Formationen. Der Dandy als solcher trat im frühen 19. Jahrhundert auf, in der Übergangsepoche zwischen adeliger und bürgerlicher Herrschaft, als die Oberschicht an Einfluss verlor. Die Söhne aus aristokratischen und reich gewordenen Bürgerhäusern begannen im Protest gegen Nivellierung einen Typus zu zelebrieren, der „äußerste Eleganz von raffinierter Einfachheit“ (Erbe) mit der Aura geistiger Überlegenheit verknüpfte. In schlicht geschnittenen Anzügen und gestärkten Halsbinden pflegten sie würdevoll verpackt den Müßiggang. In teuren Klubs und Salons des Londoner West End gaben sie den Ton an „in allem, was mit Mode, Eleganz und frivolem Zeitvertreib zu tun hatte“ (Erbe). Der König des Kults äußerster Verfeinerung hieß George Brummell (1778 bis 1840), ein schneidiger, respektloser Beau, der die weiße Krawatte zu seinem Markenzeichen machte.

Von England schwappte das Dandytum nach Frankreich. Namhafte Schriftsteller von großem Stil wie Stendhal, Baudelaire, Proust oder Balzac haben den Dandy literarisch verewigt. Vor allem Balzac gelang in seinen Werken eine tiefschürfende Analyse des mondänen Lebens. Von der Statur zu fettleibig und in den Manieren zu grobschlächtig misslang es Balzac, selbst als Dandy aufzutreten, eingeschnappt stempelte er den Fashionablen als „Boudoirmöbel“ ab. Der Kollege Baudelaire dagegen spielte die Rolle perfekt: In elegantem Schwarz repräsentierte er den unerschütterlich Erhabenen in einer abgewandelten Variation, nicht mehr als notorischen Müßiggänger, der sich ausschließlich seiner Toilette widmete, sondern als Künstler.

Der Künstler-Dandy ist eine zwiespältige Gestalt: Statt Geld schlichtweg zu besitzen, um es feudal zu verschwenden, ist er gezwungen, es zu erwirtschaften, das heißt, es zu erarbeiten. Er schlängelt zwischen den Identitäten. So auch Oscar Wilde. Er spielte mit den Rollen und parodierte sich selbst. Oscar Wilde gehörte einer neuen Blütezeit des Dandys an, dem fin de siècle. Wieder handelte es sich um eine Dandy-günstige Umsturzepoche. Laut Baudelaire erscheint der Dandy „mit Vorliebe in den Übergangszeiten“.

Indes gab Oscar Wilde kein Paradebeispiel eines Dandys ab. Um andere beherrschen zu können, beherrscht der Dandy als erstes sich selbst. Die Erotik, die er auf Frauen und Männer ausstrahlt, ist mitunter eine kaltschnäuzige. Der Dandy kontrolliert seine Leidenschaften und seine Sexualität. Oscar Wilde hingegen aalte sich in seinem Hedonismus, „er war ein Wollüstling“, treibt es Günter Erbe auf die Spitze. Der Wollüstling und Homosexuelle landete im Gefängnis.

Im 20. Jahrhundert verbindet sich das Dandytum immer stärker mit Kunst. Dadaisten und Surrealisten verbanden in den 20er Jahren Persönlichkeit mit Kunstwerk und schreckten das Publikum mit eigenwilliger, autonomer Ästhetik auf. Sie schlossen soziale Allgemeinheit aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg provozierte der österreichische Autor Oswald Wiener mit Texten, in denen er sich gegenüber dem Leser weigerte, verstanden zu werden. Darin ging er mit Baudelaire konform, der einst festhielt: „Kann man sich einen Dandy vorstellen, der zum Volk spricht, außer, um es zu verhöhnen?“

Seit Verschwinden des exquisiten Oberschichtspublikums und Erstarken des Mittelmaßpublikums sieht sich der Dandy immerfort mit der Frage konfrontiert: Wie weit bin ich ein Eigenprodukt? Gelingt ihm als Künstler der Schritt in die Öffentlichkeit, kann sich die Öffentlichkeit vervielfachen, ihn überrollen, zermalmen und seiner selbst berauben. Ihm wird eine Gratwanderung abverlangt – die zwischen Originalität und der distanzierten Teilnahme an den Massenmedien und der Massenkultur. Ein schwieriger Balanceakt, der mehr oder weniger gut gelingt. Geld und Popularität verführen und machen aus dem erhabenen Exklusiven einen käuflichen Star.

Einer, der den Dandy probierte, war David Bowie. Aktuelle Musikstile missachtete er genauso wie die viel zitierte Szene-Integrität. Er verkörperte eine neue Form der Ästhetik, die er unter anderem über die Eleganz des „Thin White Duke“ ausdrückte. Mittlerweile lebt Bowie, der nach wie vor im Geschäft ist, ganz undandyhaft mit Frau und Kind in London.

Als glamouröser Gentleman im feinen Zwirn fabrizierte Bryan Ferry mit „Roxy Music“ legendären Avantgarde-Rock. Inzwischen wirbt der unterkühlte Schöne für Marken- Oberhemden, ansonsten trägt er dandylike Maßanzüge wie der postexpressive Maler Markus Lüpertz, der einen eigenen Schneider in London haben soll.

Der Dandy kreiert seinen eigenen Stil, unabhängig von den Moden seiner Zeit. Eigentlich soll er sogar derjenige sein, der in der Mode eine Nasenlänge voraus ist. Ausgerechnet in der Modebranche selbst treten Männer in Szene, die mit Dandy-Allüren spielen, Karl Lagerfeld etwa, ein gepflegter Exzentriker, der notorisch im schwarzen Anzug auftritt und das fast weiße Haar zum Zopf zusammengebunden hat. Seinen Körper unterwarf er strengster Kontrolle, als er kürzlich radikal 40 Kilo abspeckte, um eigenen ästhetischen Ansprüchen zu genügen. Lagerfeld kommt dem Dandy-Ideal sehr nahe, gleichwohl beutet auch er die Medien inflationär für kommerzielle Zwecke aus. „Abgesehen davon hat er für einen Dandy einen zu wenig müßigen Lebenswandel“, kritisiert Kultursoziologe Erbe.

Ende der 90er Jahre machten fünf junge Männer als gefeierte Dandys Furore: Bei strömendem Schampus im teuren Hotel hatten sie sich zum „popliterarischen Quintett“ zusammengeschlossen. Unter dem Titel „Tristesse Royle“ legten sie ein Buch vor, dass vor arroganter Gesellschaftskritik und unerschütterlichem Snobismus nur so strotzte. Joachim Bessing, einer von ihnen, kanzelte den Dandy indes als „unerträglich geschraubt und verzwirbelt“ ab, der Dandy sei entweder „divenhaft, schleierig oder vermufft.“

Das popliterarische Quintett nutzte die Medien für seine Zwecke wie Oscar Wilde, der als „einer der ersten Popstars“ (Erbe) gelten kann. Doch Wilde verachtete und bespottete die Medien mehr als dass er sich in ihrem Glanz sonnte. Die fünf räsonierenden Youngster dagegen erschienen als Produkt der Medien, danach lechzend, Prominenz zu erlangen.

Womöglich ist einem, der ernsthaft mit den Attitüden des Dandys liebäugelt, nur zu bewusst, dass er allenfalls den späten glamourösen Abglanz darstellen kann - aber das mit Vergnügen am Spiel und an der Kostümierung. Vielleicht sympathisiert er mit der Antithese des alten Dandytums, mit „Camp“, wie Susan Sontag in den 60er Jahren den „modernen Dandysmus“ bezeichnete, und eröffnet sich neue, den Zeiten angepasste Freiräume: „Der Dandy alten Stils hasste das Vulgäre. Der Dandy neuen Stils, der Liebhaber des Camp, schätzt das Vulgäre.“

Im ähnlichen Sinne bringt Hans-Joachim Schickedanz („Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten“, 2000) den Begriff „Tiger“ aufs Tapet: (t)rendy, (i)nnovativ, (g)ay, (e)litär, (r)ebellisch: „Träger des modernen Dandygeschmacks sind nicht mehr, wie noch im 19. Jahrhundert, eine meist aus Adligen sich rekrutierende Gruppe, sondern vorwiegend die in Metropolen lebenden Cliquen junger innovativer Homosexuellen, deren Lifestyle, Moden und Attitüden das Bewußtsein wie auch das Lebensgefühl bereits großer Teile der heterosexuellen Gesellschaft nachhaltig beeinflußt haben.“

Vielleicht sollten wir den Dandy nicht in der Kunst, nicht in der Öffentlichkeit suchen, sondern in verborgenen Nischen, den Havanna-Lounges etwa, wo er von voyeuristischen Augen unbehelligt müßig seinen Whiskey nippen kann. Vielleicht ist der Dandy ein studierter Germanist und Historiker, der eine Anthologie „Dandys“ herausgegeben hat. Einer, der sein distinguiertes Ankleidezeremoniell im Nachwort schildert: „Ich schlüpfe (...) in ein blütenweißes Hemd mit Haifischkragen, eine Glencheck-Anzughose (schwarz/dunkelgrau), schwarze Krokoleder-Halbschuhe; befestige ein paar schmale Hosenträger am Bund; knote eine zwischen lapislazuli und amthyst changierende Seidenkrawatte zu einem Windsor; ziehe schließlich einen dunkelgrauen Hausmantel über und stecke eine weiße Pochette in die Reverstasche.“ Der 36-jährige Thomas Kastura glaubt an den Dandy und an die derzeit „dritte Blütezeit des Dandytums“. Wie ein Dandyhafter aus der Gesellschaft aussteigen könne, die noch die abstruseste Normverletzung toleriere? „Ganz einfach: indem man sie nicht ernst nimmt. Oder indem man vorgibt, sie nicht ernst zu nehmen“, antwortet Kastura. Oder indem man dandyhaft auf Schablonen verzichtet und unerschütterlich seiner Wege geht.

Dandy ist Camp ist Tiger ist Dandy.

Veröffentlicht in: FRIEDRICHstrasse Magazine, 01/03

 
 
   
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